Suchtmittelmissbrauch in der Schwangerschaft und deren Auswirkungen

Traditionell fand auch dieses Jahr der medizinische Kinderschutzfachtag im Südharz Klinikum statt.  Die Veranstaltung wurde von Christin John von der Netzwerk- und Koordinierungsstelle Frühe Hilfen und der Chefärztin Dr. med. Sylke Ludwig von der hiesigen Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, coronakonform geplant und auf eine virtuelle Bühne gebracht.  Am 09.06.2021 erhielten 120 Fachkräfte aus dem Gesundheits- und Sozialwesen Informationen zu dem Thema „Mama, denk an mich! – Drogen im Kontext Familie“.

Franziska Müller von der Fachstelle für Kooperation und Qualitätsentwicklung im medizinisches Kinderschutz eröffnete die Online-Veranstaltung mit einem Überblick über aktuelle Strukturen, Prozesse und Fallzahlen zum Kinderschutz an Thüringer Kliniken. Neben den drei Kinderschutzambulanzen in Erfurt, Eisenach und Jena, wurden mittlerweile 17 Kinderschutzgruppen an 21 Thüringer Kinderkliniken initiiert. Sie erläuterte, dass Ärzt*innen im Kinderschutz immer stärker gefordert werden. Denn nach Rückmeldung Thüringer Kliniken, wurden bei 144 der 271 untersuchten Kindern/Jugendlichen gewichtige Anhaltspunkte auf eine Kindeswohlgefährdung (KWG) gefunden. Am gravierendsten sind dabei die körperlichen Misshandlungen bei den 0 bis unter 6-jährigen.

Herr Chefarzt Dr. med. Tino Eckert von der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Chefärztin Ludwig referierten über den Suchtmittelmissbrauch in der Schwangerschaft sowie deren Auswirkungen auf das Neugeborene.  Denn Alkohol, Nikotin und illegale Drogen werden über die Plazenta übertragen und führen zu intrauteriner Abhängigkeit, neonatalem Entzugssyndrom und weiteren Entzugskomplikationen bei den Neugeborenen. Es wurden die Auswirkung der einzelnen Drogen auf das ungeborene Kind und deren Auswirkungen auf die Anpassung nach der Geburt dargestellt. Neben sichtbaren Fehlbildungen führt ein Drogenkonsum immer zu einem verminderten Wachstum, so dass die Kinder meistens zu leicht sind. Des Weiteren steigt das Risiko für Frühgeburtlichkeit und Anpassungsstörungen nach der Geburt.  Die ersten drei Lebenstage sind gekennzeichnet durch Übererregbarkeit, Temperaturregulationsstörungen, gestörtes Schlafverhalten, Atemstörung und Muskeltonusstörung einschließlich Krampfanfällen. Die Ernährung der Kinder ist erschwert, häufig müssen Medikamente im Sinne des Drogenersatzes oder der Ruhigstellung eingesetzt werden.

Es ist wichtig, sich dieser Problematik zu stellen. Denn auch im hiesigen Klinikum wurden im vergangenen Jahr 17 Kinder mit Drogenproblematik auf der Früh- und Neugeborenenstation stationär betreut. Im Rahmen dieser Fachtagung wurde unter anderem thematisiert, die Unterstützung der Suchtberatungsstelle Nordhausen in der unmittelbaren postnatalen Betreuung anzustreben, um Chancen für Mutter und Kind zu erhöhen.

Frau Oberärztin Dr. med. Christiane Gruppe, Frau Dipl.-Psychologin Ulrike Schneidewind und Chefarzt Prof. Dr. med. Philip Heiser der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie referierten im Nachgang über die Folgen eines Suchtmittelmissbrauchs in der Schwangerschaft auf die psychische Entwicklung der Kinder. Es wurden die aktuelle Studienlage und die Vielfalt der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bei Kindern mit einem organischen Psychosyndrom der Klinik präsentiert. Abschließend wurde die Spezialsprechstunde für das Erkennen der fetalen Alkoholembryopathie vorgestellt.

Diesem Fachvortrag schlossen sich Psychologin M. Sc. Martha Schleicher und Sozialpädagogin Liana Menke an und stellten das Pilotprojekt „clean4us“ in Jena vor. Das Projekt bietet suchtmittelkonsumierenden Schwangeren Unterstützung in Form von Koordination der einzelnen Hilfsangebote an, um gemeinsam mögliche Wege für eine gesunde Schwangerschaft und Entwicklung des Kindes zu finden. Zur Zielerreichung kooperiert die Koordinierungsstelle mit Vertretern aus Medizin, Familienhilfe und Beratungsstellen. Alle Kooperationspartner/innen arbeiten dabei vertrauensvoll und nach den jeweiligen Bestimmungen der Schweigepflicht und des Datenschutzes zusammen.

Abschließend zum Fachtag, stellte Dipl. Päd. und Familientherapeutin Gabriele Lützkendorf vom Familienzentrum Nordhausen das therapeutische Gruppenprojekt „Zauberland“ für Kinder aus suchtbelasteten Familien vor. Derzeit leben etwa 2,6 Millionen Kinder in Deutschland mit mindestens einem suchtkranken Elternteil zusammen. Dabei leiden Kinder unter den täglichen Anforderungen, Konflikten und Spannungen in der Familie besonders, fühlen sich schuldig und hilflos. Hier setzt das einzigartige Projekt an. Ziel ist die Verbesserung des Kenntnisstandes zu Wirkung von Drogen, Entstehung und Auswirkung einer Suchterkrankung sowie Psychoedukation, die Reduzierung der psychischen Belastung der Kinder durch Auflösung des Tabuthemas Sucht, Erlernen effektiver Stressbewältigungsstrategien, Verbesserung des adäquaten Umgangs mit Emotionen, Förderung des erfolgreichen Hilfesuchverhaltens, Praktische Entspannungstechniken, Erhöhung des Selbstwerts und Aufbau eines positiven Selbstkonzepts sowie die Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung. Insgesamt wurden seit März 2014 76 Teilnehmer*innen betreut. Doch die Dunkelziffer betroffener Kinder im Landkreis ist deutlich größer, jedoch finden diese nur schwer den Weg ins Zauberland.

Die Veranstalter bedanken sich herzlich für die Mitwirkung, bei allen Referierenden und Teilnehmenden und freuen sich auf ein Wiedersehen in 2023.